CD Review, 15.10.2021
KULTURABDRUCK
Zerbrochene Vasen und galoppierende Pferde
Im Idealfall sorgt der Literaturnobelpreis mindestens kurzfristig für höhere Auflagen – ein Garant für Unsterblichkeit ist er nicht. Das war schon 1901 so, als Sully Prudhomme die erste aller Auszeichnungen erhielt. Heute interessieren sich nur noch Liebhaber für die Werke des französischen Schriftstellers. Zu ihnen zählen zwei junge Musikerinnen, die Prudhomme nun zu einem ungewöhnlichen Comeback verhelfen.
Möglich wurde ihre Rettungsaktion durch den bemerkenswerten Umstand, dass Prudhommes eminent stilvolle, aber mitunter durchaus sperrige Texte zahlreiche Komponisten zu Vertonungen inspirierten. Dabei war er durchaus kein freiwilliger Liedtexter, die musikalische Ausdeutung seiner Verse, die auch einem naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisdrang gehorchten, scheint ihn nicht einmal besonders interessiert zu haben.
Gabriel Fauré, César Franck, Charles-Marie Widor und viele andere Protagonisten der französischen Musikszene hielt das allerdings nicht davon ab, sich intensiv mit seinen Texten zu beschäftigen. Einige Gedichte – etwa das vergleichsweise bekannte „Le vase brisé“ oder das atemlose „Le galop“ – wurden sogar mehrfach vertont.
Marie-Pierre Roy interpretiert die Prudhomme-Lieder mit viel Empathie und Begeisterung. In Justine Eckhaut hat die Sopranistin eine ebenso aufmerksame wie stets vorausschauende Begleiterin. Die Pianistin erschafft am Fazioli-Flügel facettenreiche Stimmungsbilder und verbindet sie mit den Gesangslinien zu einer anmutigen Klanglandschaft, die durch scharfe Kontraste Profil gewinnt.
Fünf Lieder stammen von dem 1980 geborenen Komponisten Matthieu Roy. Der Bruder der Sängerin wirft einen belebenden zeitgenössischen Blick auf Prudhommes Gedichte. Diesem Ziel gehorchen auch die im Booklet platzierten Bilder des italienischen Designers Alessandro Gianvenutti.
Marie-Pierre Roy (l.) und Justine Eckhaut
Im Kreis der Prudhomme-Vertoner verdient Théodore Dubois besondere Erwähnung. Der einstige Direktor des Conservatoire de Paris, der jahrzehntelang als blasser Akademiker verspottet wurde, ist gleich mit sechs Liedern auf der CD vertreten. Sie zeugen von Eleganz und Leichtigkeit und einem melodischen Erfindungsreichtum, der die Zeiten tatsächlich überdauern könnte.
Das geht natürlich nur, wenn Dubois´ Werke häufiger gespielt und aufgenommen werden. 2021 waren immerhin Ansätze erkennbar (➤ Akademisches mit Esprit), sein 100. Todestag am 11. Juni 2024 könnte Anlass sein, noch viel mehr zu entdecken.
Gladbeck, 09.04.2019
FORUMSKONZERT
Forumskonzert erklang zum 100. Stadtjubiläum Gladbecks
Barbara Seppi
10.04.2019 - 15:00 Uhr
Die französische Pianistin Justine Eckhaut interpretierte in der Mathias-Jakobs-Stadthalle Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Liszt und Claude Debussy.
GLADBECK. Justine Eckhaut spielte im Sonderkonzert der Gladbecker Reihe „Forum Deutscher Musikhochschulen“. Die junge Pianistin beeindruckte das Publikum.
„Justine hat uns gerettet“, gestand Heinrich Menning am Dienstagabend rund 150 Besuchern in der Mathias-Jakobs-Stadthalle. Es war eine ambitionierte Idee, zum besonderen Anlass „100 Jahre Stadt Gladbeck“ in die renommierte Reihe „Forum Deutscher Musikhochschulen“ ein Konzert junger Künstler aus einer französischen Hochschule mit Bezug zu Gladbecks Partnerstadt Marcq-en-Baroeul einzubeziehen. Ein Trio vom „Conservatoire National Supérieur Musique et Danse“ aus Lyon sollte es werden – am Ende stand die Pianistin Justine Eckhaut solo auf der Bühne.
Der künstlerische Leiter der Forumskonzerte, Heinrich Menning, begrüßte das Publikum zum Sonderkonzert in der Gladbecker Stadthalle.
Pianistin präsentierte anspruchsvolle Werke
Es hatte sich herausgestellt, dass die Kollegen aufgrund von Examen nicht nach Gladbeck reisen konnten. Die charmante Musikerin mit einem sympathischen Lachen wollte die Organisatoren nicht im Stich lassen. Sie sagte: „Ich liebe Marcq-en-Baroeul, die langjährige Heimat meiner Großeltern, und finde diese Städtepartnerschaft einfach toll“. Herzlich dankten ihr für das Engagement der künstlerische Leiter der Reihe, Heinrich Menning, und die stellvertretende Bürgermeisterin Brigitte Puschadel. „Die Städtepartnerschaft ist eine Brücke zwischen unseren Ländern, herzlich willkommen, bienvenue“.
Pianistin hat familiäre Wurzeln in Marcq-en-Baroeul
Justine Eckhaut, die familiäre Wurzeln in Gladbecks französischer Partnerstadt Marcq-en-Baroeul hat, trat im Sonderkonzert zum 100. Stadtgeburtstag auf.
Foto: Joachim Kleine-Büning
Eckhaut hatte ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt. Die 27-jährige Pianistin, geboren in Watreloo, begann mit einem Präludium und Fuge aus der Sammlung „Das wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach. Klare, erhabene Töne, strukturierte Themenläufe, das Publikum reagierte noch verhalten. Mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Sonate in F-Dur“ zeigte Eckhaut eine spritzige, von Spielwitz dominierte Seite. Keck wiederholten sich Melodien wie Charakterfacetten in einer Oper.
Justine Eckhaut zeigte technische Virtuosität
Der zweite Satz wirkte zärtlich und sanft. Im „allegro assai“ blitzte mit Rasanz das technische Können. Der Applaus erschallte verstärkt. „La Campanella“ – das Glöckchen – von Franz Liszt hieß es zum Ende des ersten Konzertteils. Mit schier unglaublicher Schnelligkeit schlug Eckhaut mit der rechten Hand die hohen Tasten, es schellte in hellen Tönen, als hätte sie einen Stab über ein Glockenspiel gestreift.
Die effektreichen Virtuosen-Stücke der Romantik liegen Eckhaut. Wie sie dabei in ihrem Element ist, konnte das Publikum nach der Pause intensiv erleben. Drei Szenen aus Claude Debussys „Estampes“ waren es, die auf der Stelle mitrissen. „Pagodes“, leicht tropfende Töne und asiatische Intervalle, schufen klanglich Tempellandschaften in Fernost. „La soirée dans Grenade“ mit einem Habanera-Motiv entführte nach Andalusien, in der heißen Sonne vermischten sich arabische Wurzeln mit spanischem Esprit, sinnlich und leise der Tastenanschlag. Perlendes Wasser in den Gärten im Regen, „Jardins sous la pluie“ endete mit Vehemenz, gleich einem Wolkenbruch der tosende Applaus der Zuhörer.
„La Vallée d´Obermann“ von Franz Liszt beschloss das hervorragende Konzert mit einem dramatischen Spaziergang durch ein Tal der seelischen Abgründe. Bravo, Justine!
https://www.waz.de/staedte/gladbeck/konzert-im-zeichen-der-liebe-zur-romantik-id216917635.html